Ich frage einfach mal - Antje und ihre 42 Schlittenhundfreunde aus der Mongolei
4/13/2015
Meine liebe Arbeitskollegin Antje, ist nicht nur eine tolle
Eventmanagerin und Gastrotante, sie macht auch lauter verrückte Sachen, über
die ich immer nur staunen kann und mir wünsche, ich hätte doch so ein ganz
klein wenig von ihrem Mut abbekommen. Ich bin allerdings eine alte Schissbuxe,
was sich wohl auch nicht mehr ändern wird. So werde ich sicher nie durch den
Dschungel von Nicaragua tingeln, durch Zanzibar schippern, durch Kolumbien
tappern oder wie zuletzt, mich von 42 Schlittenhunden über einen gefrorenen See
in der Mongolei ziehen lassen. Sie ist allerdings nicht nur unglaublich mutig
und abenteuerlustig, sie ist ein absoluter Schatz, lustig, herzlich, offen und
hat so ein zauberhaftes Lachen, dass man einfach selbst auch ein Lächeln im
Gesicht hat.
Ja, da ist selbst mir die Kinnlade runtergeklappt… Mein lieber Freund
Sebastian – er lebt in Ulan Bator – behauptete kühn „Na warm kann ja jeder,
versuchs doch mal mit Kälte“ und lud mich kurzum ein, mit ihm eine geführte
Hundeschlittentour zu machen. Als er mir dann noch ein Buch aus der Mongolei
schickte, welches er selber mit Text und Fotos vom Land gestaltete, hatte er
mich schon überzeugt. Ich hatte wirklich null Ahnung, was mich dort erwarten
würde, aber es klang nach Abenteuer. Und dafür bin ich ja immer zu haben.
Oh, ich habe mich riesig über beide Bücher gefreut. Das läutete die
Reise noch vor Antritt ein und machte Lust auf mehr. Mongolisch für Anfänger…
Naja, mongolisch ist eine wirklich andere Sprache. Englisch ok, Spanisch
spreche ich auch, hatte Latein jahrelang in der Schule, aber leider kein
Russisch… Also ist Mongolisch doppelt schwer: kyrillische Schreibweise und kein
einziges Wort konnte ich mir irgendwoher leiten. Ich glaube, 2 Kapitel habe ich
geschafft und hängen blieb „Am“ für Mund/Hunger J. Während
der Tour haben wir englisch und französisch geredet und mit Einheimischen ein
bisschen englisch. Doch für einen Kuss des nächtens in einer Jurte, nachdem mir
ein lieber mongolischer Feuermann half, den erloschenen Ofen wieder anzuwerfen,
genügte das mongolische Wort „Bajrlaa“ [beietla] für
„Danke“. Das werde ich wohl nie
vergessen. Aber, wenn es die Zeit erlaubt, werde ich mir dieses Buch nochmals
vornehmen, jetzt wo ich ein bisschen mehr Verständnis für die Sprache habe –
eine wirklich magische Sprache, wie das Land selbst.
Das Mushingbuch habe ich schnell durchgelesen. Mit deiner Vermutung,
dass vor Ort alles anders kam, hattest du schon Recht. Wir brauchten keine
Kommandos für die Hunde, außer: Hopp, hopp für „los“, Ho-ho-ho-stop für
„langsamer und stop“. Sonst habe ich einfach deutsch mit ihnen geredet. Mir
erschien die Kommunikation mit den Hunden über meine Stimmlage wichtiger, als
dass sie jedes Wort verstehen. So habe ich jeden Tag meine Freude, Dankbarkeit
und manchmal auch Trost (wenn das Eis krachte) über freudigen Lobgesang,
Anfeuerrufe, beruhigende, tiefe Stimme zum Ausdruck bringen können (nur gut,
dass mich niemand gehört hat).
Ui, das ist schwer, gab es doch so viele schönste Erlebnisse. Aber, ich
entscheide mich: Es war der 3. Tag. Wir erwachten, tranken Kaffee, packten
unsere Sachen, beluden die Schlitten, versorgten die Hunde, leinten an. Es war
täglich derselbe Ablauf, aber immer ganz entspannt. Niemand hatte eine Uhr. Die
Dinge brauchten eben solange sie brauchen. Es waren ca -20 Grad, strahlender
Sonnenschein, blauer Himmel. Mütze, 5-lagig obenrum, 3-lagig untenrum. Die
Schlitten sind fertig. Die Hunde sind aufgeteilt und stehen in den Startlöchern
bellen und hüpfen. Das Adrenalin schießt mir durch den Körper, die Hunde
wollen, nur die Natur schläft unterm schützenden Frost, der See liegt unberührt
vor mir mit 1,5m Eisschicht, an diesem Tag von Schnee bedeckt. Der 1. Schlitten
rauscht los, ich stehe auf der Bremse, rufe ho-ho-hooo, noch nicht, erst ein
bisschen Abstand lassen, dann ziehe ich den Anker, gehe von der Bremse und
looooos geht’s – wusch, wohooo! Wahnsinn. Die weiße Decke dämpft alle
Geräusche. Die Hunde hecheln und schnorpsen mit 20km/h leise über den Schnee. Ich
habe 500m Abstand zur Spitze, nur die Hunde, der Schlitten und ich und jetzt
kommts: Ich schaue nach links und sehe die schneebedeckten Berge des Sajan
Gebirges, welches den Khuvsgul-See im Westen umgibt. Die trockene Kälte lässt
alle Konturen scharf erscheinen, weiche Hügel, Flussmündungen, Täler. Diese
Weite! Diese Stille! Dieser Frieden! Ich muss nicht auf Unebenheiten achten,
der Schlitten läuft ganz geschmeidig, die Hunde rennen und finden den weichen
Boden spitze. Ich kann also in Gedanken schwelgen. Mir wird bewusst, an welch
unberührtem Fleckchen Erde ich mich befinde, keine Strommasten, keine Autos,
Straßen, Menschen, Hütten, nur Natur – soweit das Auge reicht. Ich fühle mich
ganz klein und doch ummantelt von der Freundlichkeit des Landes, beschützt von
meinen Sechsen, die mich sicher ziehen und bin mir trotz dessen bewusst, dass
diese bergige Schönheit mit diesem riesigen See zu ihren Füßen eine raue
Wahrheit verbirgt. Überleben kann nur, wer sich den Gegebenheiten des Landes am
besten anpassen kann. Es kann nur mit der Natur gehen, niemals gegen sie, ein
viel zu großer Gegner und dieser kennt kein Pardon. Ich bin dankbar für diesen langen
Moment mitsamt aller Gefühle, die in mir hochkommen, ein bisschen demütig, dass
mich der See gewähren lässt und freudigst, dass ich solch zuverlässige
Begleiter vor dem Schlitten habe. Mir entrinnt eine Träne vor Glückseligkeit.
Ach, so richtig schlimm gibt es für mich eigentlich nicht, so lange es
nicht ums nackte Überleben geht. So manche Dinge sind in anderen Ländern nur
anders als zu Hause, wo man europäischen Standard gewohnt ist. Ja, die
Toilettensituation war schon kein erheischendes Erlebnis J. Es gibt meist nur einen Holzverschlag, mal mit Tür,
mal ohne, das sogenannte Plumpsklo, mal mit Kloschüssel, mal nur mit einem Loch
im Boden, mal mit riiiesigen Gruben, in die man schauen kann (währenddessen)
und Eiszapfengebilde sieht, die es schöner nicht in Höhlen geben kann. Bei der
Tour gabs natürlich nur die Natur, was besser war als diese Verschläge. An Tag
4 kam ich ein bisschen ins Schwitzen: Mitten in der Nacht und ich musste mal,
arrrgh, suchte auch nicht nach einem besonders dicken Baum, sondern nach einem
„gleich um die Ecke“, denn es gab Wölfe. Die Hunde heulten dem Mond zu und ich
war mir sicher, dass da eine Antwort aus anderer Richtung kam. Da kanns dann
schon mal hektisch werden. Einem Wolf den blanken Hintern zu zeigen, ist sicher
keine sehr vornehme Art, „Hallo“ zu sagen.
„Schlimm“ ist die Ernährung. Es gibt täglich Hammelfleisch, „Matten“
genannt. Ich esse Fleisch, aber dieses ist dann doch etwas speziell.
„Ungewohnt“ war es, 5 Tage ohne fließendes Wasser auszukommen. Wie wir
uns nach 5 Tagen alle freuten, uns mit warmem Wasser waschen zu können. Was zu
Hause selbstverständlich ist, gab es auf der Tour eben einfach nicht. Wir
hatten unser Biwak und hatten warmes Wasser zum Zähneputzen. Aber keiner ist auf
die Idee gekommen, sich bei -20 bis -30 Grad auszuziehen und sich draußen einer
Wäsche zu unterziehen, huuuu. An dieser Stelle: ein Hoch auf Feuchttücher!
„Schlimm“ ist die politische und wirtschaftliche Lage der Mongolei und
die damit einhergehende Situation der Bevölkerung, gerade der nicht so gut
Situierten. Aber das würde an dieser Stelle wohl den Rahmen sprengen.
Bist Du eigentlich mit Hunden
aufgewachsen? Denn momentan hast Du keinen Hund (oder ein anderes Tier) und
sicher wundern sich da einige, wie man als Nicht-Hundebesitzer auf so einen
verrückten Hundetrip kommt.
Ich hatte schon immer ein Faible für Tiere. Mit 10 hatte ich leider für
nur 2 Jahre einen Cocker Spaniel „Tommy“, dann ein Zwergkaninchen „Mückchen“
und ein Meerschweinchen namens „Bingo“. Mit 12 begann ich zu reiten, hatte über
10 Jahre 2 eigene Pferde „Wendy“ und „Aylah“. Ich rettete Mietzen in Not und
Kaninchen und schleppte alles, was fleuchte mit nach Hause. Auf dem Reiterhof
sprangen natürlich immer Hunde rum. Tiere sind meine Freunde und ich habe keine
Berührungsängste. Ich weiß gar nicht mehr, was mich so richtig überzeugt hat,
diese Hundeschlittentour zu machen; das Erlebnis mit den Hunden (weil mans doch
nur ausm Fernseher kennt) oder das Land an sich. Ich glaube, es war einfach meine
Neugier.
Nach so vielen gemeinsamen
Stunden mit so vielen Hunden war es irgendwann Zeit zum Abschied nehmen. Wie
war der Abschied für Dich und vermisst Du die Hunde hier?
Oooh, ich habe geweint, still, in das weiß schwarz gefleckte Fell
meiner Poppers. Sie ist eine ganz bezaubernde Leadhündin und hat ein
großartiges Wesen, so herzerwärmend, kuschelig und zuverlässig an der Spitze.
Wir haben nach getaner Arbeit lange beieinander gehockt, sie meist auf mir. Sie
war die erste morgens, die ich begrüßte, danach kamen alle anderen 41. Schon
gleich in der ersten Nacht nach der Tour (wir reisten noch 2 Tage per Minivan
zurück nach Ulan Bator) vermissten wir, Sebastian auch, im Hotelzimmer liegend,
das nächtliche Geheul der Hunde, das Schlafen im Biwak mit dem Wissen, draußen
liegen 42 Süßigkeiten eingerollt und morgen geht’s wieder auf den Schlitten.
Das hatte so was sagenhaftes, so was beruhigendes. Diese 9 Tage waren
überwältigend, aber so gern ich auch die kleine „Euro“ in meine Parka-Tasche
gestopft hätte, ich weiß, dass sie sich hier nicht wohlfühlen würde. Die Hunde
sind bei Joel in der Mongolei am allerbesten aufgehoben.
Ich war überrascht, dass diese fremden Hunde mir gegenüber (und auch
den anderen) von Sekunde 1 an so liebenswert und immer freundlich gesinnt
waren, dass sich so schnell solch ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hat. Das
bestätigt, dass es wichtig ist, unvoreingenommen auf das Fremde, ob Tier oder
Mensch, zuzugehen, dass Angst nur einschränkt und dass diese Offenheit so viel
zurückgibt.
Ich nennen Dir jetzt drei
Begriffe und Du sagst mir, was Dir dazu sofort durch den Kopf geht:
1. Frostbeule
– rechter kleiner Zeh
2. Wolfsspur
– wow, eines Morgens ums unser Biwak, fröstelnd, geheimnisvoll
3. Arschgesicht
– haha, unsere Nachbarskatze, die über unseren Balkon zu uns in die Wohnung
hüpft und ne Ehrenrunde dreht, eine süße Maus! Mein Mitbewohner hat sie so
getauft und eigentlich heißt die liebe Mietz „Zwergi“ und ist ein Kater
Hast Du schon Pläne für ein neues
Erlebnis? Und wenn ja, verrätst Du mir, wo es hingeht?
Ja! Nochmal in die Mongolei. Wegen eines tollen Projektes – wir drehen
eine Doku über die Musiker einer Jazz-Bigband, die durch das eigene Land tourt.
Dabei sollen dieses Mal die Menschen im Fokus stehen. Warum? Um mal ein
bisschen in die Tiefe zu gehen und mit all den Klischees (Kamele,
Bogenschießen, Adlerjagden), die es über die Mongolei gibt, aufzuräumen. Das
wird aufregend und eher kein Urlaub, aber ich will und muss!
Mit welchem Tier kannst Du Dir
vorstellen mal Dein Leben zu teilen? Und welches Tier sollte lieber nicht an
Deiner Wohnungstür klopfen?
Hach, ich bin ja eigen, was Tierhaltung angeht. Mir wurde mal ein
Nymphensittich geschenkt (ich rate davon unbedingt ab, Tiere zu verschenken).
Schnell kaufte ich eine passende Dame dazu und sie durften durch die ganze
Wohnung flattern, weil es mir leidgetan hätte, dass sie keine Runden fliegen
können. Einen Hund würde ich mir daher nur anschaffen, wenn ich ein Grundstück
hätte. Das kann dauern, aber ich bin optimistisch. Vielleicht ein Nacktmull?
Die sind ja ganz zauberhaft und schlafen viel.
Eine Mietze könnte es leider nie sein, da ich allergisch bin – komisch,
woher das kam. Und jegliche Spinnenart darf gern einen weiten Bogen um meine
Tür machen.
6 Kommentare
Mir fallen gerade überhaupt keine passenden Worte ein.
AntwortenLöschenDanke für dieses tolle Interview. Ich bin völlig fasziniert vom Lesen und habe feuchte Augen - einfach, weil ich es mir genau so wunderschön vorstelle.
Eine Tour mit Schlittenhunden davon habe ich schon als kleines Mädchen geträumt... und dieser Traum wird definitiv auch irgendwann in Erfüllung gehen. Ich bin überzeugt, dass das ein Erlebnis ist, welches man nie vergisst.
Danke für diese herrlichen Einblicke!
Gepunktete Grüße
Katharina mit Milo
Liebe Katharina,
Löschenda hast Du so recht und ich musste heute beim ersten Lesen auch ein Tränchen verdrücken. Ob nur solche Hundemenschen, wie wir es wohl sind, uns da so reinführen können?
Seid lieb gegrüßt
Katja
Liebe Katja,
Löschenmanchmal glaube ich das wirklich - aber dann sehe ich da meine Freundin neben mir, die keinen 4-beiner besitzt und die genau so fasziniert ist von diesem Interview.
Vielleicht sind es aber übermäßig Frauen -die sehr nah am Wasser gebaut sind- die sich in so einem erzähltem Erlebnis verlieren können?! ;)
Liebe Katharina & Milo, das berührt mich wiederum sehr, dass dieses Interview berührt. Danke für deinen lieben comment! Und natürlich auch ein dickes Danke an meine Lieblingschefin fürs "Drüberredendürfen" ;-)
AntwortenLöschenDu dankst mir bitte nicht, Du Liebe! Ich muss Dir für so viel "mit in die Ferne schweifen", Gänsehaut und mit frieren danken. :)
LöschenDanke Euch beiden für diesen schönen content! ;)
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